„Unabhängig“ ist groß in Mode, in Schopfheim. Weil „Seilschaften“ außerhalb der Welt des Bergsteigens ein eher hässliches Wort ist. Da entdecken dann plötzlich alt gediente Sozis ihre Liebe zu einem unabhängigen Banker (gibt es das in dieser Welt?), nachdem der eigene Kandidat eine Wähler-Watschn erhalten hat. Grüne entwickeln überraschende Sympathien zum echten Bürgerwillen, der sich mit dem höchsten Stimmenanteil für – Achtung – den unabhängigen Burgikandidaten vermeintlich Gehör verschafft. Das aber auch erst, nachdem der eigene Kandidat auf dem vorletzten Platz gelandet ist. Anderswo im Land steht dieser Bürgerwille in grünen Kreisen – und das ganz richtig – im rechten Populismusverdacht. Und die Unabhängigen? Die wissen nicht mehr so genau, warum sie zum Beginn den grünen Kandidaten unterstützt haben, obwohl der eigene Name doch was anderes nahegelegt hätte. Aber es ist nie zu spät, sich der bisherigen Mehrheit, oder doch dem echten, unabhängigen Bürgerwillen anzuhängen. Also unterstützen auch sie jetzt den unabhängigen Kandidaten.
Verrückte Welt? Ja irgendwie schon, denn auch CDU und FWV unterstützen ihren, ja, Sie ahnen es schon, unabhängigen Kandidaten. Er nimmt die Unterstützung dankend an und kündigt ebenso an, dass er im Falle seiner Wahl selbstverständlich – ? – unabhängig entscheiden und handeln möchte. Also unabhängig von CDU- und FWV-Fraktion, aber natürlich im Sinne der Schopfheimerinnen und Schopfheimer. Und spätestens da trifft sich Josef Haberstroh argumentativ mit seinem Mitbewerber Dirk Harscher, der, ja, vielleicht langweile ich sie, unabhängig aber im Interesse der Stadt und ihrer Bewohner zu agieren verspricht.
So nähern wir uns dem Kern der Frage: Unabhängig von wem wollen und werden, oder vielleicht auch können, Bürgermeister entscheiden und handeln? Doch eigentlich nie losgelöst von Interessengruppen, von eigenen Interessen und den Interessen derer, denen sie in Anschauung und Überzeugung am ehesten folgen wollen und können. Schlimm? Nein, eigentlich gehört das zum Wesen der Demokratie: Interessen – gegebenenfalls über Parteien – zu vertreten und ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen. Wahlen und (Stadt-)Parlamente greifen in diesem Prozess steuernd und korrigierend ein.
Entscheidend dafür: Transparenz über Zusammenhänge, Transparenz über die Interessen und Interessengruppen, Transparenz über die Verbindungen und Transparenz in der Meinungs- und Willensbildung. Also Transparenz über die Frage: Abhängig oder unabhängig von wem?
Für diese nötige und wichtige Transparenz sorgen in einer freien Gesellschaft unter anderem Presse und Medien. In einer Stadt, wo die Unabhängigkeit in „aller Munde“ ist, sollte man also meinen, dass die Lokalpresse besonders genau hinschaut. Da könnten sich die Schopfheimer möglicherweise täuschen. Denn das eine oder andere Thema wird einfach nicht zum Thema, weil sich offensichtlich Lokalredakteure einig sind, darüber zu schweigen.
Beispiel gefällig? Das Gerücht machte in Schopfheim die Runde, ein weiterer Kandidat werfe den Hut in den Ring. Das hat er zwar nicht, aber der Kandidat bestätigte, das erwogen zu haben und belegt auch seine Motive öffentlich in meinWiesental. Badische Zeitung und Markgräfler Tagblatt ignorieren die Geschichte beharrlich. Sie interessiert auch nicht wo und wie eine Indiskretion das sich bestätigende Gerücht ermöglichte. Kein gutes Zeichen für andere Themen, die in Schopfheim vor und hinter den Kulissen aktuell sind. Seltsam – wo es doch allen um Unabhängigkeit und die damit verbundene Transparenz geht.
Und damit bleibt die entscheidende Frage im Raum, welche die Wählerinnen und Wähler am kommenden Sonntag für sich in der Kabine unter anderem beantworten müssen: Wer in Schopfheim, bzw. welche Interessengruppen wünschen sich in Schopfheim welchen Gewinner am Wahlabend – und warum? Eines in jedem Fall steht fest – unabhängig im eigentlichen Sinn des Wortes ist keiner von beiden, und die Antworten sind nicht so einfach wie sie auf den ersten Blick scheinen.
Nachtrag in eigener Sache: Für alle, die sich fragen, warum wir den oben beschriebenen spannenden Themen und anderen nicht selbst nachgehen? Würden wir gerne. Aber wir sind eine kleine Mannschaft, die sich mit schmalen Budget zum Ziel gesetzt hat, im Wiesental eine qualitativ hochwertig Online News-Plattform zu etablieren. Leider haben wir nur eingeschränkte Ressourcen, allen Stories nachzugehen, die uns wichtig erscheinen. Unter anderem macht uns das ein etablierter Mitbewerber schwer, weil er freie Mitarbeiter/Journalisten, die für uns tätig sind, bei der Vergabe von Aufträgen nicht mehr berücksichtigt. Das setzt Freischaffende extrem unter Druck, die ohnehin unter selbstausbeuterischen und prekären Bedingungen arbeiten müssen. So viel zum Thema Abhängigkeit. Wir räumen es unumwunden ein – wir sind abhängig. Von wirtschaftlichen Notwendigkeiten, von Lesern – und nicht zuletzt Inserenten.
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