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„Die Kuh ist noch nicht vom Eis“

Information zur Standortfrage des Zentralklinikums nährt die Befürchtungen der Bürger

Schopfheim (hf). Etwa 300 interessierte Zuhörer waren zu der Informations-Veranstaltung gekommen, bei der Landrätin Marion Dammann die Ergebnisse der Bewertung der möglichen Standorte für ein Zentralklinikum vorstellte und erläuterte. Obwohl Bürgermeister Christof Nitz mit Verweis auf das hydrogeologische Gutachten glaubhaft macht, dass die „Rote Karte“ eigentlich vom Tisch ist, nährten die Antworten auf die zumeist kritischen Fragen der Bürger die Befürchtung, dass von Seiten des Landratsamtes eine Vorentscheidung zu Gunsten des Standorts Lörrach weiterhin bevorzugt wird.

Hydrogeologisches Gutachten und „Rote Karte“

In der gut dreieinhalbstündigen Veranstaltung gab die Landrätin Bürgermeister Christof Nitz zweimal fünf Minuten Redezeit um die Ergebnisse des seit Freitag bekannten Gutachtens vorzustellen. Das Gutachten des Landesamtes für Geologie und Rohstoffe ergebe ohne Zweifel, so Christof Nitz, dass sich die Grundwasser-Situation im Bereich Schopfheim-West grundlegend verändert habe, so dass die Wasserschutzzone wesentlich reduziert werden müsse. „Nach diesem Gutachten fiele unser Grundstück in Gündenhausen ganz aus einer neu definierten Schutzzone heraus. Damit ist die ‚Rote Karte‘ eliminiert“, betonte der Bürgermeister unter dem lebhaften Beifall der Bürger. Ulrich Hoehler, Erster Landesbeamter beim Landratsamt, hatte schon vorher eingeräumt, dass nach dem Gutachten der Landeanstalt „eine neue Modellierung der Grundwasserströme möglich“ und daher die frühere Bewertung der Bewerbung Schopfheims „anders einzuordnen“ sei. Das Gutachten alleine bewirke jedoch nichts. „Die Rechtsverordnung von 1992 zur Definition der Wasserschutzzonen muss geändert werden, und das erfordert Zeit“, gab der Erste Landesbeamte zu bedenken. Nitz konterte, das Gutachten werde schon am 8. Februar dem Landesamt für Geologie in Freiburg zur Prüfung vorgelegt. Von dort habe er die Auskunft erhalten, nach den vorliegenden Informationen könne eine Änderung der Schutzzonen-Einteilung könne kurzfristig durchgeführt werden. Ulrich Hoehler hatte schon vorher ein weiteres Problem angeführt: Das Grundstück in Gündenhausen zwischen Schopfheim und Maulburg liege in einer „Grünzäsur“, in der Baumaßnahmen nicht möglich sind. Hier widersprach Christof Nitz. „Nach Auskunft des Geschäftsführers des Regionalverbands sind Baumaßnahmen für Bauvorhaben mit Bedeutung für die öffentliche Versorgung sehr wohl zulässig. Ausnahmen können über ein Raumordnungsverfahren geregelt werden. Entscheiden über eine solche Regelung werde der Regionalverband“, erklärte der Bürgermeister und fügte hinzu: „Die Vorsitzende des Regionalverbands ist übrigens unsere Landrätin Marion Dammann.“ Den Argumenten-Austausch zwischen Ulrich Hoehler und Christof Nitz fasste in einer Wortmeldung der frühere Landarzt aus dem Kleinen Wiesental so zusammen: „Herr Nitz hat knapp, mit wenigen Worten, viel über die Bewerbung Schopfheims gesagt. Sie, Herr Hoehler, haben mit sehr vielen Worten nur eins gesagt: dass alles für die Bewerbung Lörrachs spricht.“ Er warnte vor einer „postfaktischen Argumentation, wie in Amerika“, welche die Politikverdrossenheit der Bürger nur verstärken werde (Beifall im Publikum).

Objektivität der (bisherigen) Bewertung und die Kostenfrage

In der  Diskussions- und Fragerunde wurde von den Bürgern immer wieder die Frage nach den Kosten für das Gesamtprojekt „Zentralklinikum“ und deren Rolle im Bewertungsprozess gestellt. An keinem Punkt sie bislang die Kostenfrage in die Bewertung der drei Standorte eingeflossen, wurde gerügt. Dabei gebe es doch bei den drei Standorten gravierende Unterschiede. Alleine bei den Unterschieden der Grundstückspreise (Lörrach 100 Euro und Schopfheim30 Euro pro Quadratmeter)  ergebe bei einer Grundstücksgröße von 10.000 Quadratmetern eine Differenz von10 Millionen Euro, führte Jörg Klein aus Schopfheim aus. So habe der Standort Lörrach aber weder eine eigene S-Bahn Haltestelle, noch seien die Kosten für eine Unterführung der Bahnlinie oder der Verlegung der Landstraße, die heute quer durch das Baugrundstück führt angegeben oder bewertet worden, kritisierten gleich mehrere Bürger und Kreisräte. Sabine Bomel vom Beratungsunternehmen André Consult erläuterte, die Bewertung nach der Klausur gebe den Kenntnisstand vom Januar wider. „Dort lagen zu den Grundstücken nur die Quadratmeterpreise  vor. Wir haben alle drei Bewerber um tiefer gehende Informationen gebeten, die dann in eine Bewertung einfließen sollen“, erklärte sie. Weiter führte sie aus, dass bei Maßnahmen für die öffentliche Anbindung, nur solche berücksichtigt werden sollen, die bis 2025 abgeschlossen werden können. „Das ‚Gesamtprojekt Lörrach‘ mit Verlegung der Landstraße, Unterführung der Bahnlinie, Anschluss an die B-317 und Bau einer S-Bahn Haltestelle kann in dieser Zeit nicht realisiert werden und wurde deshalb aus der Bewertung herausgenommen“, informierte sie.

Ärztliche und Notfall-Versorgung und Erreichbarkeit im ländlichen Raum

Mehrfach wurde auch die Frage der Erreichbarkeit eines Zentralklinikums oder der Patienten durch einen Notarzt gestellt. Armin Müller, Geschäftsführer der Kreiskliniken GmbH, dass sichergestellt sei, dass Notfälle in 95 Prozent der Fälle in 15 Minuten versorgt werden könnten. „Die Standorte der Notärzte müssen nicht im Krankenhaus sein“, erläuterte Armin Müller, sondern sie bleiben wie bisher über den Landkreis verteilt. Die Frage der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum war vielen Bürgern ein Anliegen. Wenn es um Menschenleben gehe, dürfe man nicht alleine mit quantitativen Argumenten arbeiten, wurde eingewandt. Auch wenn im Ballungsraum Lörrach/Weil mehr Menschen leben als im Oberen Wiesental, so hätten doch die Menschen in den peripheren Gebieten des Landkreises  das gleiche Recht auf eine gute und angemessene Versorgung, hieß es in einer Wortmeldung.

Leistungsfähigkeit der Abwasser-Versorgung

Als weiteren Grund, der gegen einen Standort Schopfheim spricht, hatte Ulrich Hoehler angeführt, das Klärwerk in Steinen sei nicht in der Lage, die von einem Klinikum zu erwartenden Abwässer zu reinigen, sondern es müsste eine zusätzliche Reinigungsstufe gebaut werden. Hier widersprach Klaus Strütt heftig. Das Klärwerk in Steinen sei ursprünglich für eine Einwohnerzahl im Einzugsbereich von 100.000 Menschen angelegt worden. Diese Zahl sei heute deutlich geringer, und das Klärwerk sei durchaus in der Lage eine erhöhte Abwassermenge zu klären. Was auch heute nicht realisiert sei, dass Medikamentenrückstände und Spurenstoffe geklärt werden. „Das betrifft aber nicht nur das Klärwerk in Steinen – für das Klärwerk Bändlegrund, das die Abwässer aus Steinen klären müsste, gilt das Gleiche“, erläuterte Klaus Strütt.

Ländlicher Raum und „emotionale“ Diskussion

Immer wieder wurde in der Diskussion der zentrale Standort Schopfheim „im Herzen des Landkreises“ von den Bürgern in Erinnerung gerufen. Rainer Strittmatter aus Enkenstein erinnerte daran, dass bei der Schaffung der Kreismüll-Deponie und der Tierseuchen-Station in Wieslet immer wieder vom Landkreis argumentiert wurde, so wichtige Einrichtungen gehörten zentral in die Mitte des Landkreises. „Entscheiden Sie bitte bei der Zentralklinik ebenso“ forderte der die Kreisräte und die Landrätin auf. „Das Zentrum des Landkreises ist hier – und nicht in Lörrach“ betonte er unter dem Beifall des Publikums. Landrätin Marion Dammann zeigte Verständnis für diese Argumente. „Aber bedenken Sie bitte auch, dass der ländliche Raum sich nicht auf das Wiesental beschränkt. Wir haben im Landkreis auch das Markgräfler Land, das Kandertal und das Engertal. Für die Menschen dort liegt Lörrach deutlich näher als Schopfheim“, so die Landrätin. Auch die teils emotionalen Wortmeldungen zu Gunsten des Standorts Schopfheim hinterließen bei der Landrätin keine tieferen Spuren. „Wir sind morgen mit unserer Informations-Veranstaltung in Rheinfelden“, berichtete sie. „Was denken Sie denn, was wir da zu hören kriegen.“

Tendenzentscheidung im März 2017

Dass trotz des Gutachtens zur Wasserschutzzone und der – zu erwartenden gravierenden Kostendifferenzen beim Bau eines Zentralklinikums – die Kuh für den Standort Schopfheim noch lange nicht vom Eis ist, wurde spätestens in der Schlussphase der Veranstaltung deutlich. Bürgermeister Christof Nitz hatte in einem flammenden Appell dafür geworben, die Tendenzentscheidung für einen Standort des Zentralklinikums nicht im März zu fällen. „Viele Dinge sind noch nicht abschließend geklärt, viele Dinge wissen wir auch noch nicht“, hatte Christof Nitz erklärt. „Eine Entscheidung kann da im März noch nicht getroffen werden, warten wir doch ab bis die notwendigen Informationen für einen seriösen Entscheid auf dem Tisch liegen“, schlug der Bürgermeister vor. Diese Argumente wischte die Landrätin mit zwei Sätzen vom Tisch. „Wir sind nicht der einzige Landkreis, der sich bei Klinik-Projekte um öffentliche Förderung bemüht. Wenn wir unser gutes Ranking bei Förderanträgen behalten wollen, müssen wir schnell entscheiden“, beschied sie die Versammlung.

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