Gesellschaft & Politik, Lokales, News, Persönlichkeiten aus dem Wiesental
Kommentare 4

„Wir brauchen Hilfe, um helfen zu können!“

Die dramatische finanzielle Situation der Bergwachten im Schwarzwald.

wir-brauchen-hilfe-um-helfen-zu-koennen-meinwiesental-portraitInterview mit Dirk Kiefer, Vorsitzender der Bergwacht Ortsgruppe Schönau und Bernhard „Pi“ Steinebrunner, Vorsitzender der Bergwacht Ortsgruppe Todtnau, zur derzeit dramatischen finanziellen Situation der Bergwachten im Schwarzwald und deren immens wichtigen Arbeit.

Das Interview führte Verena Wehrle.

Die Bergwacht ist ständig im Einsatz, Sommer und Winter. Und das ehrenamtlich. Was genau sind die Aufgaben der Bergwacht?

Dirk: Wir retten alle abseits der Straße, wo der straßengebundene Rettungsdienst nicht mehr hinkommt.

Pi: „In unwegsamem Gelände bei jedem Wetter“ – das ist unser Slogan.

Wie viele Einsätze habt ihr pro Jahr?

Pi: Wir betreuen den Feldberg südlich von der Bundesstraße, haben dabei immer so gut über 100 Einsätze im Winter, im Sommer geschätzt 30. Im Sommer kümmern wir uns um Downhiller, Coaster-Bahn, Wanderer und Mountainbiker.

Dirk Kiefer: Wir kümmern uns im Winter um die Wintersportler am Belchen. Im Sommer auch um Wanderer, Gleitschirmflieger und sogar Pilzsammler. Wir haben im Durschnitt 30 Einsätze im Jahr.

Die dramatische finanzielle Situation der Bergwacht Schwarzwald, zu der eure Ortsgruppen gehören, rückt immer mehr in die Öffentlichkeit. Wie finanziert sich denn die ehrenamtliche Arbeit der Bergwacht?

Pi: Wir bekommen Geld von der Krankenkasse für jeden Einsatz, dieses fließt meist in Verschleißmaterial. Wo wir das Riesen-Problem haben, sind bei den großen Sachen wie bei der Wiederbeschaffung von Fahrzeugen oder bei der Hütte. Wir haben ein altes mehrfach repariertes Fahrzeug, das müssen wir auch bald ersetzen. Die Hütte ist auch schon in die Jahre gekommen, da mussten wir eine neue Gasheizung einbauen, das hat immens viel gekostet. Wir sind gerade dabei eine Skido-Garage zu bauen. Einen Sanitätsraum brauchen wir auch. Das machen wir alles mit Eigenmitteln. Dabei wäre dafür eigentlich das Land zuständig. Die ganze Bergwacht Schwarzwald bekommt im Jahr für solche Dinge 70.000 Euro.

Dirk Kiefer: Wir sind 28 Ortsgruppen – 70.000 Euro werden auf all diese Ortsgruppen verteilt. Die Neubeschaffung von so einem Fahrzeug kostet 95.000 Euro.

Pi: Alle 28 Jahre gibt’s ein Fahrzeug. Das ist unmöglich.

Dirk: In Bayern ist die finanzielle Lage unproblematisch. Wir aber bräuchten aktuell 3,4 Millionen Euro Soforthilfe.

Gibt es keine Unterstützung durch die Kommunen?

Pi: Uns steht kostenlos die Garage unter dem Altenheim zur Verfügung.  Ansonsten gibt es keine Unterstützung.
Dirk: Die Kommunen fühlen sich für uns nicht verantwortlich, Rettungsdienst ist Ländersache.

Warum ist keine Unterstützung von denen zu erwarten, die vom Tourismus profitieren, z.B. Skiliftbetriebe oder die Schwarzwald Tourismus GmbH?

Pi: Wir bekommen seit zwei Jahren vom Liftbetrieb 50.000 Euro pro Jahr für die sieben Ortsgruppen, die am Liftverbund hängen, also rund 7000 Euro für jeden. Darüber können wir uns nicht beklagen. Wir wollten immer den sogenannten Rettungspfennig – wenn man einmal durchs Drehkreuz fährt, zahlt man einen Cent – doch das machen sie nicht. Vom Tourismus gibt’s nichts, auch wenn sie von unserer Arbeit profitieren.

„Es ist nicht mehr fünf vor 12, sondern hat bereits 12 geschlagen“, sagte der Landesvorsitzende Adrian Probst. In Wieden etwa gibt es aktuell kein einsatzfähiges Fahrzeug. Seht ihr persönlich die Situation auch als so dramatisch an?

Pi: Wir für die Ortsgruppe Todtnau auf jeden Fall. Wir sind jetzt quasi auf null. Wenn jetzt das Rettungsfahrzeug versagt, dann haben wir ein Problem. Nach dem Skido-Anbau brauchen wir nun noch einen San-Raum. Doch dafür reicht das Geld nicht mehr. Wir müssen die Patienten jetzt im Keller parken.

Dirk: Wir können uns grad noch über Wasser halten. Wir sind aber auch auf jeden Cent angewiesen. Zumal wir in Schönau schwierige, aber wenige Einsätze haben, aber das gleiche Material brauchen. Unser Dienstraum war über 50 Jahre alt, wir hatten keinen Ausbildungsraum. Das machen wir alles in Eigenleistung. Das wird von der Ortsgruppen-Kasse bezahlt. Überall bei den Firmen bettle ich, damit wir einen guten Preis bekommen.

Warum wird denn das Geld immer knapper?

Dirk: Wir müssen das Auto versichern, Reifen kaufen, tanken, Unterhalt vom Fahrzeug, Heizkosten, Stromkosten bezahlen. Wenn du jetzt ein Jahr ohne Einsätze hast, hast du auch kein Geld. Aber die Kosten hast du trotzdem. Dann musst du an deinen Reserven knabbern und irgendwann sind sie weg.

Adrian Probst forderte im August eine Finanzspritze aus Stuttgart von zwei Millionen Euro und die Aufstockung der jährlichen Zuwendungen von bisher 70.000 Euro auf 400.000 Euro. Wie sehen die Chancen aus, dass diese Forderungen eingelöst werden?

Pi: Keine Ahnung. Wenn das so kommen würde, dann wäre es gut. Dann wären wir zufrieden, dann würden wir auch motivierter den Dienst machen. Wir streiken halt nicht, das ist halt unsere Ehre.

Was muss man finanziell als Bergretter selbst mit einbringen?

Dirk: Jedes Bergwacht-Mitglied muss eine persönliche Schutzausrüstung haben und zahlt diese selbst, zum großen Teil.

Pi: Die Landesleitung zahlt einen Teil aus dem Pott, aber jedes Mitglied muss einen großen finanziellen Teil selbst mit einbringen. Und für die Skier bekommen wir gar nichts. Die müssen wir uns selbst kaufen.

Es gibt ja auch keine Entschädigung für Arbeitsausfälle der Bergretter wie dies bei der Feuerwehr der Fall ist.

Dirk: Wenn tagsüber unsere Piepser alarmiert werden, müssen wir bei der Arbeit abstempeln und die Arbeitszeit nachholen. Die verlorene Arbeitszeit wird nicht bezahlt.

Pi: Es gibt das Feuerwehr-Gesetz, aber da kommen wir nicht hin. Das ist eine totale Ungleichbehandlung.

Gibt es aufgrund dieser ganzen Situation immer weniger ehrenamtliche Bergretter?

Pi: In der Jugend haben wir kein Problem, weil es halt doch attraktiv ist. Aber für Vorstandsposten Leute zu bekommen, ist schwieriger.

Dirk: Wir haben auch keine Nachwuchsprobleme.

Wie viel Freizeit geht drauf für die Arbeit als Bergretter?

Pi: Wir sind verpflichtet mindestens 30 Ausbildungsstunden im Jahr zu machen in unserer Freizeit, neben dem normalen regulären Dienst. Dieser umfasst etwa fünf Bergwacht-Stunden in der Woche. Ich bin im Winter jedes dritte Wochenende auf dem Feldberg. Unter der Woche ist die Skiwacht im Einsatz. Im Sommer rücken wir regelmäßig über den Piepser aus.
Dirk: Und wir machen am Belchen das ganze Jahr über Dienst, unter der Woche sind wir über Piepser erreichbar. Im Winter rücken wir sicher zwei Mal in der Woche aus, während der Arbeitszeit. Da kannst du vier bis fünf Stunden wieder nachschaffen. Aber toi, toi, toi, unsere Leute motzen nicht.

Fühlt ihr euch ausgenutzt?

Dirk: Ich würde jetzt so sagen: eher im Stich gelassen,
Pi: weil jeder sagt, super tolle Arbeit, warmer Händedruck, und das war‘s dann.
Dirk: Die Arbeit ist kostenlos, aber nicht umsonst.

Erst kürzlich waren die grünen Landtagsabgeordneten Uli Sckerl und Andrea Schwarz bei der Bergwacht zu Besuch und sicherten ihre Unterstützung zu. Ist da Hoffnung auf einen Wandel?

Pi: Wir hoffen ja, aber bis dato ist noch nichts gegangen. Die 70.000 Euro sind seit Jahren eingefroren. Die Krankenkasse hat sich bewegt, was die laufenden Kosten angeht.

Wenn es so weitergeht finanziell, könnt ihr euren Rettungsauftrag im Winter dann überhaupt noch erfüllen?

Dirk: Zumindest nicht mit Sicherheit für den Patienten. Weil, mittlerweile können wir kein intaktes Gerät mehr fahren, weil wir das Geld nicht haben. Und dann wird es auf Dauer schwierig.

Wie kommt ihr zusätzlich zu Geld?

Pi: Wir gehen halt richtig hausieren. Am Städtlefest machen wir auch immer mit. Betteln ist nicht unser Job. Ich setze gerne meine Freizeit ein, aber nicht, dass ich dann alle Leute beknien muss.

Dirk: Wir haben mal Geld für einen neuen Motorschlitten gebraucht, der alte war ein Totalschaden. Da hatten wir den Slogan: „Wir brauchen Hilfe, um helfen zu können“. Da haben wir auf dem Weihnachtsmarkt Würstle verkauft. Wir müssen Würstle verkaufen, dass wir retten können.

Wenn sich finanziell nichts ändert, wie geht’s dann weiter?

Pi: Wir versinken halt immer mehr in Schulden. Der Leidensdruck ist da. Wir können dieses Jahr zum Beispiel den San-Raum nicht machen, wir müssen die Patienten jetzt in der Garage zwischenlagern.

Ihr hört nicht einfach auf?

Pi: Nein. Die Motivation ist aber nicht so dabei, das merkt man immer wieder.

Dirk: Wir sind Herzblut-Bergwachter. Auch, wenn wir kein Geld mehr haben, rücken wir trotzdem aus. Wir improvisieren dann einfach. Wir schlagen uns halt durch.

Was reizt dann so an der Bergwacht-Arbeit?

Dirk: Die Verbundenheit mit der Natur. Oder bei uns ist es auch unser Haus Bergfried, an dem viele hängen.

Pi: Ist schon schön, wenn du einem geholfen hast, wenn du einem den Schmerz nimmst.

Dirk: Was auch ein Reiz ist, dass wir mit unseren Rettungsmitteln wo hinkommen, wo andere nicht mehr hinkommen.

Was kann man als Privatperson tun, um die Arbeit der Bergwacht zu unterstützen?

Beide: Spenden!

Pi: Man kann Fördermitglied werden und mindestens drei Euro im Monat spenden. Doch die Anzahl der Fördermitglieder ist auch immer mehr zurückgegangen.

Zahlen und Fakten:

Ortsgruppe Schönau:
25 Aktive, 10 in der Altersmannschaft,
10 in der Jugend

Ortsgruppe Todtnau:
30 Aktive, 15 in der Altersmannschaft,
8 in der Jugend

Ab 10 Jahren kann man in die Bergwacht, wird dann spielerisch auf die Arbeit vorbereitet, von 14 bis 18 Jahren ist man Anwärter, ab 18 nach der Prüfung dann aktiver Bergwachter.

Die aktuellen Zahlen der Bergwacht Schwarzwald (insgesamt 28 Ortsgruppen):
1990 – 250 Einsätze pro Jahr
2016 – 1500 Einsätze pro Jahr

Bedarf:
– Bergwacht Schwarzwald hat derzeit einen Investitionsstau im Bereich der Fahrzeuge von ca. 615.000 Euro
– einmalig notwendige Investitionen in Gebäuden: 2,9 Millionen Euro
– dauerhafte Investitionsfördermittel: 400.000 Euro

weitere Infos unter: www.bergwacht-schwarzwald.de

Erst nach unserem Interview, sagte der Innenminister Thomas Strobl am Freitag, 7. Okt. 2016, der Bergwacht zu, dass sie in Zukunft mehr Geld bekomme: Die jährliche Förderung soll deutlich angehoben werden und der Investitionsstau bei den Rettungswachen soll abgebaut werden. Als Sofortmaßnahme sollen die drei Fahrzeuge der Bergwacht Schwarzwald, die keinen TÜV mehr haben, zeitnah ersetzt werden.

 

 

4 Kommentare

  1. Pingback: Nächste Radiosendung am 19.10.2016 um 16.00 Uhr – meinWiesental

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.