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Wie Kinder zu arbeitsamen und industriösen Menschen wurden

Vortrag von Andreas Müller zur Industrialisierung des Wiesentals

Schönau (vw). Ganz im Zeichen der Zusammenarbeit zwischen Schönau und Zell stand der Freitagabend im Klösterle. So nicht nur bei der Spendenübergabe, sondern auch beim anschließenden Vortag zur Industrialisierung des Wiesentales zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Textilindustrie von Andreas Müller, dem zweiten Vorsitzenden des Verein des Wiesentäler Textilmuseums. Eindrücklich und detailreich hat Müller den fast 40 Zuhörern im Klösterle von der gemeinsamen Geschichte von Zell und Schönau berichtet. Er beginnt mit dem „Webland“, wie das Wiesental damals genannt wurde, weil hier eben schon immer die Textilindustrie zu Hause war. Von der Entstehung dieser Textilindustrie erzählte Müller von der Herstellung für den Eigenbedarf über die sogenannte Hausindustrie bis hin zu den bedeutenden Textilunternehmern des Wiesentals wie etwa Meinrad Montfort, bei dem 1770 über 2000 Menschen Arbeit fanden oder Peter Koechlin, dem „Vater der Wiesentäler Textil-Industrie“, der aus den Heimarbeitern abhängige Lohnarbeiter in Fabriken machte. In der Entstehungsgeschichte der Zell-Schönau setzte Müller in seinem fast einstündigen Vortrag vor allem den Fokus auf die Kinderarbeit im 19. Jahrhundert. Er sprach dabei von den harten und erschreckenden Tatsachen, der materiellen Not der Menschen und den harten Arbeitsbedingungen. Doch für diejenigen, die unter dem Existenzminimum lebten, sei die Arbeit in der Textilindustrie die einzige Alternative gewesen. Kinderarbeit sei im Wiesental besonders häufig in der aufstrebenden Textilindustrie vorgekommen. Die Kinder reinigten  die Rohbaumwolle und waren für das Spulen und Umspulen zuständig. Später waren sie waren sie für das Anknüpfen und Fuseln zusammenkehren zuständig – weil sie klein waren und besser unter die Spinn- und Webmaschinen schlüpfen konnten. Die Kinder mussten den ganzen Arbeitstag elf Stunden anwesend sein oder auch darüber hinaus sowie samstags und nachts. Sie haben nicht nur gesundheitliche Schäden davon getragen, die Sterberate der Kinder war hoch. Die Kinder sollten in sogenannten „Industrieschulen“ zur arbeitsamen und „industriösen“ Menschen erzogen werden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Kinderarbeit überall verboten – wenigstens offiziell.

Auch was die Schönauer Uhr bedeutet, erfuhren die Zuhörer beim Vortrag von Müller. Dietrich Iselin, der in Schönau das Monopol mit seiner Weberei wollte und dafür sämtliche Fabrikgebäude aufkaufte, hatte die Fabrikuhr immer um eine halbe Stunde nachgerichtet, wodurch die Arbeitszeit verlängert wurde, dafür jedoch kein Lohn gezahlt. Mit Albert Koechlin, der in Schönenbuchen ein Filialbetrieb seiner Weberei in Zell baute, kam dann 1857 der erste ernstzunehmende Konkurrent für Iselin. Im Laufe der Jahre wurden die Firmen der beiden von Christian Mez übernommen und im Jahr 1920 zur „Spinnerei und Webereien Zell-Schönau AG“ zusammengeführt.

Es war ein interessanter Vortrag von Müller, der im Anschluss auch Fragen beantwortete. Für das Thema habe man sich entschieden, da es sehr gut in die laufende Vortragsreihe des Klösterles passe, wo man derzeit bei der Kolonialisierung angekommen sei, so Christine Stiegeler, die erste Vorsitzende des Klösterle-Vereins. Müller werde sicher nochmals kommen, um über andere Themen zu referieren. Als Zugabe berichtete er noch kurz über die Wiesentalbahn, mit der ja auch die Rohstoffe für die Textilindustrie transportiert wurden.

Foto: Andreas Müller zog mit interessanten Fakten zur Wiesentäler Textilindustrie die Zuhörer in seinen Bann.

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