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„Entweder wir kommen an oder wir sterben unterwegs“

entweder-wir-kommen-an-oder-wir-sterben-unterwegsFlüchtling Zahia und ihre Schwester Hibba erzählen von Flucht, der Situation in Syrien und dem  Ankommen

Während im Radio die Donots „Dann ohne mich“ spielten ganz unter dem Motto „Kein Mensch ist illegal“ war Zahia aus Syrien mit ihrer Schwester und Tochter im Radiostudio zu Besuch. Zahia wohnt seit drei Monaten mit ihrer Familie in der vorläufigen Unterkunft im Feriendorf Todtnau und erzählte Verena Wehrle von der Flucht, dem Leben in Deutschland und den doch gar nicht so großen Unterschieden der Kulturen.

Verena: Ich weiß das Wort „Flüchtling“ magst du gar nicht – wie möchtest du denn lieber genannt werden?

Zahia: Einfach nur Zahia. Da ich in Deutschland geboren bin und auch hier aufgewachsen bin, habe ich dieses Wort nicht sehr gern. Ich habe 17 Jahre in Deutschland gelebt und bin dann zurück nach Syrien gekehrt und blieb einfach dort. Meine Mutter hat dort gelebt und wir sind jeden Sommer nach Syrien gefahren, um unsere Familie zu besuchen. Dort wurde ich verlobt. Und schon war ich verheiratet und hatte ein Kind. Aber es hat gepasst, mein Mann ist sehr lieb.

Verena: Und dann bist du vor drei Monaten mit deiner Familie wieder zurückgekommen?

Zahia: Bei uns kann man nicht mehr leben in Syrien, es ist sehr schwer und gefährlich. Deswegen musste ich zurückkehren, um meine drei Kinder zu retten.

Verena: Und dein Mann wollte gar nicht weg?

Zahia: Nein, er wollte nicht, aber ich habe ihn überzeugt. Er wollte einfach die Familie nicht verlassen, er kommt aus einer großen Familie. Seine Mutter, sein Vater, seine Geschwister, die blieben alle in Syrien, er wollte sie einfach nicht so zurücklassen dort.

Verena: Aber die Flucht ist ja auch nicht ganz ungefährlich, wie war es denn?

Zahia: Wir haben viel gehört. Aber eigentlich war es mir irgendwie egal. Ich dachte, wenn wir in Syrien bleiben, werden wir irgendwann sowieso sterben. Also entweder wir kommen an oder wir sterben unterwegs. Also es war mir egal. Ich wollte raus.

Verena: Wurde eure Straße denn bombadiert?

Zahia: Ja, Bomben, alles Mögliche. Man kann es sich eigentlich nicht vorstellen. Cousinen, Cousins sind ums Leben gekommen. Manche sind einfach verschwunden. Das war eine dauernde Gefahr. Wir hatten keinen Strom, kein Wasser.

Verena: Ihr wart in eurem Haus und dann wurde auf einmal geschossen.

Zahia: Ja, einmal um Mitternacht fingen sie an zu schießen, wer, wissen wir nicht. Wir mussten einfach im Korridor liegen bleiben bis es ruhiger wurde. Und dann sind wir aus dem Gebäude raus, ins Auto gestiegen, das Auto war voller Löcher von der Schießerei und ich bin sofort woanders hin gefahren wo es sicherer war mit der ganzen Familie. Wir hatte nichts dabei.

Verena: Wie war denn die Flucht mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer?

Zahia: Das war sehr gefährlich. Wir haben uns das nicht so vorgestellt. Wir dachten es wäre einfacher. Im Meer waren wir vier Stunden. Als wir in Griechenland ankamen dauerte das etwa fünf Tage bis wir in Deutschland waren.

Verena: Wie viele Menschen sind denn da auf einem Boot?

Zahia: Wir sind ja von einem Schmuggler zu einer Insel gefahren worden in einem normalen kleinen Bus. Es war gemütlich, nicht schlimm und wir dachten „Oh Schön“. Wir kamen dort an, Doch auf einmal war es ganz dunkel und die Schmuggler schrien „Kommt schnell ins Boot“. Und wir wollten einfach nicht, weil das viel zu viele Leute waren. Es waren über 50 Leute, die in einem kleinen Schlauchboot einsteigen mussten. Weil die Schmuggler Angst hatten vor der Polizei. War ja alles illegal. Wir konnten nichts sehen und wir hatten keine Schwimmwesten an. Wir haben uns geweigert. Dann haben sie geschossen in die Luft. Wir wollten nicht, weil wir Angst hatten. Tatsächlich sind wir eine Nacht mit 17 Leuten auf der einsamen Insel geblieben.  Am nächsten Tag haben wir die Schmuggler angerufen, dass das so nicht abgemacht war.

Verena: Eine hohe Summer zahlt man dafür oder?

Zahia: Ja, pro Person haben wir 1100 Dollar gezahlt. Ich hab meinen Schmuck verkauft, unser Auto, alles was wir verkaufen konnten.

Verena: Hibba (Schwester von Zahia) erzähl doch mal von der aktuellen Situation in Syrien.

Hibba: Es ist sehr schrecklich, was jetzt zurzeit passiert. Die Leichen liegen auf der Straße, die Leute können diese nicht bergen, weil sie Angst haben erschossen zu werden, willkürlich von irgendwelchen Truppen. Viele Leute werden von ihren Autos heraus entführt, damit man Geld erpressen kann. Man weiß nicht, wohin sie gebracht werden, wann sie zurückkommen. Es gibt Not überall – Lebensmittelknappheit überall. Wer keine Hilfe bekommt, der ist so gut wie tot. Menschen verkaufen ihr Hab und Gut, damit sie irgendwie ins Ausland kommen. Ihnen bleibt keine Wahl.

Verena: Wie ist die Situation jetzt für euch hier in Deutschland?

Zahia: Es ist ganz schön ruhig. Wir können in Frieden leben. Es ist wunderschön in Deutschland. Die Leute helfen, wo sie können.

Verena: Ja, aber du selbst hilfst ja auch sehr viel. Du bist dort die Dolmetscherin und gehst mit den Leuten zu den Ärzten.

Zahia: Ja, weil die Leute nicht zurechtkommen, manche können kein Englisch, kein Deutsch. Sie brauchen Hilfe.

Verena: Aber du kamst ja auch aus einer schweren Situation hier her und bist jetzt wieder diejenige, die hilft. Ist das nicht schwer für dich?

Zahia: Nein, schwer ist das nicht, ganz im Gegenteil. Wenn ich diesen Blick von Zufriedenheit sehen kann, dann bin ich auch glücklich, wenn ich irgendwie helfen kann.

Verena: Wie ist es mit der Kultur hier in Deutschland – kommt ihr damit gut zurecht?

Hibba: Es geht ja um die Menschlichkeit. Wenn ich eine gewisse Erziehung in meinem Land genossen habe und dann nach Deutschland komme, dann gilt die ja hier genauso. Dann ist das ganz normal, dass ich mein Gegenüber auch menschlich behandle. Ich finde es einen falschen Begriff, dass ich mich hier „anpassen“ muss. Es hat ja mit menschlichen Werten zu tun und die sind ja überall gleich.

Zahia: Bei uns ist es nicht üblich, dass eine Frau die Hände schüttelt mit einem fremden Mann. Weil es manche unverschämt finden, wenn ich die Hand nicht schüttel, dann mache ich es einfach. Das ist einfach Respekt und Höflichkeit. Es ist dann doch Anpassung. Im Islam ist Haut zu Haut nicht erlaubt – sich zu berühren.

Verena: Sind die Unterschiede denn groß?

Hibba: Ich glaube nicht dass sie groß sind, weil alle die gleichen Grundwerte haben in den drei großen Religion – Islam, Christentum und Judentum haben den gleichen Ursprung, da werden die gleichen Werte vermittelt. Das ist alles ein bisschen verloren gegangen, viele wenden das nicht mehr an, das ist das Traurige.

Verena: Es gibt überall schwarze Schafe oder?

Hibba: Nicht jeder Deutsche ist ein guter Deutscher, nicht jeder Syrer ist ein guter Syrer. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt in jedem Land schwarze Schafe.

Verena: Was ist denn für eure Zukunft geplant?

Zahia: Jetzt müssen wir warten bis das Asylverfahren durch ist. Wir wollen gerne nach Bonn ziehen.  Dort bin ich aufgewachsen. Dort habe ich eine große Familie. Dann würde ich gerne wieder als Lehrerin arbeiten. Irgendwas mit Flüchtlingen vielleicht.

Das Interview führte Verena Wehrle – meinWiesental Redaktion.

Wir danken Zahia und Hibba für das angenehme Gespräch.

Möchten Sie noch mehr von diesem Interview hören?

Podcast – meinWiesental ON AIR im FRW Sendung vom 16.03.2016

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